Quartierspeicher für Kommunen
- Kommunen sind Wegbereiter von Quartierspeicheranlagen und können diese in Stadtentwicklungsplänen mitdenken und in Bebauungsplänen verankern.
- „Smarte Quartiere“ in Groß-Umstadt und Mannheim zeigen, wie Energiespeicheranlagen gemeinschaftlich genutzt werden können.
- Multi-Use-Anwendungen machen eine wirtschaftliche Nutzung von überschüssigem Strom oder freien Speicherkapazitäten möglich.
- Trotz des Potentials für die Energiewende sind die rechtlichen Hürden für die Errichtung und Betreibung von Quartierspeichern immer noch hoch.
Dezentrale Batteriespeicher leisten eine wesentliche Aufgabe für eine sichere und zuverlässige Versorgung mit Strom aus erneuerbaren Energien. Sie können das Stromnetz angesichts schwankender Einspeisung von Photovoltaik (PV) und Wind stabil und ausfallsicher halten. Insbesondere für Kommunen bieten lokal und gemeinschaftlich nutzbare Speichersysteme vor dem Hintergrund steigender Energiepreise ökonomische und ökologische Einsparmöglichkeiten. Im Bereich Gewerbe und Industrie kann mit dezentralen Speicherlösungen zudem der Anteil der solaren Selbstverwaltung gesteigert werden.
Kommunen als Wegbereiter für Batteriepeicheranlagen
Was für das Eigenheim der Heimspeicher ist, ist auf nächsthöherer Ebene der Quartierspeicher. Dieser ermöglicht gegenüber dem Zwischenspeicher für privat produziertem PV-Strom die Versorgung von ganzen Siedlungen und Wohnvierteln, sowohl raum- wie auch ressourcensparender als der Heimspeicher. Untergebracht sind solche gemeinschaftlichen Speichersysteme zumeist in Gebäuden oder Containern. Von hier werden sie ans öffentliche Stromnetz oder in eine selbstverwaltete Netzinfrastruktur innerhalb einer Energiegemeinschaft angeschlossen.
Swantje Gährs vom Institut für ökologische Wirtschaftsförderung (IÖW) sieht Kommunen dabei als Wegbereiter, die Quartierspeicher in Stadtentwicklungsplänen mitdenken und in Bebauungsplänen verankern können. „Kommunen kennen die Akteure in der Stadt oder Gemeinde, Energieinitiativen, die vielleicht aus der Bürgerschaft heraus entstanden sind, und können diese an Energieversorger vermitteln, die bei der Umsetzung unterstützen können“, so die Energieexpertin. Zudem könnten Kommunen größere Batteriespeicheranlagen selber initiieren, das – falls vorhanden – eigene Stadtwerk dazu motivieren, ein solches Vorhaben umzusetzen oder mit Energieversorgern, die Quartiere erschließen, zusammenarbeiten.
„Smarte Quartiere“ in Groß-Umstadt und Mannheim
Wie so eine gemeinschaftliche Batteriespeicheranlage umgesetzt werden kann, hat Swantje Gährs untersucht. Von 2017 bis 2020 begleitete die Wissenschaftlerin das Projekt „Energiespeichersysteme für smarte Quartiere“ (ESQUIRE) in Groß-Umstadt, Hessen. Im damaligen Neubaugebiet „Am Umstädter Bruch“ wurden Bauherren im Rahmen des Bebauungsplans dazu verpflichtet, Photovoltaikanlagen zu errichten und den daraus gewonnen Solarstrom zu speichern. Hierfür installierte der kommunale Energieversorger Entega bereits 2016 einen großen Batteriespeicher für das gesamte Quartier, bestehend aus 25 Haushalten. ESQUIRE begleitete das Testlabor in Groß-Umstadt wissenschaftlich.
Im Anschlussprojekt „Multi-Use-Quartierspeicher in Groß-Umstädter Solarsiedlung“ (MAGDA) hat Entega aus dem Quartierspeicher nun ein Produkt gemacht, welches von den Hauseigentümern als Dienstleistungsservice zur Ein- und Auslagerung von Strom gebucht werden kann. Ihre Vorteile gegenüber dem Heimspeicher: Sie sparen Geld und Platz und vermeiden die mit einem Batteriespeicher verbundenen technischen Risiken in den eigenen vier Wänden. Dabei kann der Quartierspeicher bis zu 274 Kilowattstunden von den Haushalten selbst erzeugten Strom speichern, womit diese wiederum bis zu 70 % ihres eigenen Energiebedarfs decken. Ungenutzte Speicherkapazitäten werden von dem kommunalen Energieversorger regional und überregional vermarktet.
Auch das Quartier FRANKLIN in Mannheim setzt Maßstäbe auf dem Gebiet der dezentralen Energiespeicherung und -versorgung. Bis 2028 will das Unternehmen Evohaus, das sich selbst als Spezialist für CO2-freie Quartiere bezeichnet, die ehemalige US-Wohnsiedlung in einen „lebenswerten Ort mit Zukunft“ verwandeln und die im Projekt ESQUIRE entwickelten Dienstleistungen umsetzen. Um das Viertel weitestgehend energieautark zu machen, setzt Evohaus auf einen Quartierspeicher, welcher von den Wohnungseigentümern gemeinschaftlich unterhalten wird. 65 bis 70 % der Energie, die für Warmwasser, Heizung und Strom benötigt werden, kommen dabei aus der Selbstversorgung mit erneuerbaren Energien. Da der Batteriespeicher in FRANKLIN modular aufgebaut ist, können Batterien je nach Bedarf flexibel eingesetzt werden. Durch ein lokales Smart Grid wird der Energiebedarf optimiert und damit das öffentliche Netz entlastet.
Diese Technologien stecken in Quartierspeichern
- Lithium-Ionen-Batterien sind die derzeit am häufigsten genutzten Akkumulatoren zur Speicherung von regenerativ gewonnenen Energien. Sie haben eine große Speicherkapazität und können so elektrische und elektronische Geräte mit einem besonders hohen Energiebedarf versorgen. Unter guten Bedingungen beträgt die Lebensdauer von Lithium-Ionen-Batterien mehrere Jahre. Jedoch sind die Batterien auch sehr empfindlich gegenüber Überspannungen sowie Hitze, Sonne und Kälte. Durch Kurzschluss, Tiefentladung, Überladung, Überhitzung sowie mechanische Einwirkung besteht Brand- und Explosionsgefahr. Außerdem bestehen bei den Batterien aus Lithium und Kobalt Bedenken hinsichtlich Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen innerhalb der Produktionskette.
- Redox-Flow-Batterien sind geeignet zur Speicherung größerer Mengen erneuerbarer Energien. Sie haben eine lange Laufzeit, sind hinsichtlich Leistung und Speicherkapazität flexibel auslegbar und bergen keine Brandgefahr. Da sie keine kritischen Materialien enthalten und ihre Elektrolyte vollständig recycelbar sind, stellen sie aus Sicht der Kreislaufwirtschaft eine vielversprechende Lösung dar.
- Natrium-Schwefel-Batterien stellen, was das Material angeht, eine leicht verfügbare, günstige und umweltfreundliche Möglichkeit der Stromspeicherung dar, wenngleich es Batterien auf Natrium-Basis noch nicht ganz zur Marktreife gebracht haben. Doch die Aussichten sind gut: Ein Forscherteam an der University of Texas in Austin hat jüngst einen neuen Batterieelektrolyt entwickelt, mit dem das bislang größte Problem der Natrium-Schwefel-Batterien gelöst werden konnte (das sogenannte Shuttling, bei dem sich die Batterie schnell entlädt, kurzschließt oder sogar explodiert). Aktuell untersuchen die Wissenschaftler die Anwendung größerer Batterien für Elektrofahrzeuge und zur Speicherung erneuerbarer Ressourcen wie Sonne und Wind.
- Zink-Ionen-Batterien gehören zu den als grün geltenden Zukunftstechnologien und bestehen hauptsächlich auf dem reichlich verfügbaren und kostengünstigen Metall Zink. Da diese Art der Batterie auf Wasser basiert, ist eine Brand- oder Explosionsgefahr, wie es bei Lithium-Ionen-Batterien der Fall ist, ausgeschlossen. Aufgrund des ungiftigen Materials gelten Zink-Ionen-Batterien außerdem als umweltfreundlich. Beste Voraussetzungen also für eine zukunftsweisende Energiespeicherung. Bis zur Marktreife wird es allerdings noch etwas dauern, denn in punkto Lebensdauer und Effizienz besteht hier noch Verbesserungsbedarf.
Multi-Use-Anwendungen möglich
Den individuellen, privaten Verbrauch an erneuerbarer und lokal erzeugter Energie mit Quartierspeichern zu erhöhen, ist das eine. Wirtschaftlich werden gemeinschaftliche Speichersysteme jedoch erst, wenn sie als Multi-Use gedacht werden. Denn im Tages- und Jahreszeitenverlauf wird Energie hier unterschiedlich stark nachgefragt und produziert. Das heißt: Die Batterie ist die meiste Zeit des Tages entweder voll geladen oder leer. Es lohnt sich also, weitere Akteure wie regionale Industrie, Supermärkte und öffentliche Einrichtungen miteinzubeziehen. Hierdurch werden Batteriespeicher effizient genutzt – sowohl was die Speicherkapazitäten als auch Stromüberschüsse angeht – und sogar Gewinne erzeugt.
Welche Zweit- und Dritt-Anwendungen im Zusammenhang mit Quartierspeichern möglich sind, haben Jan Knoefel vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IOEW) und Frieder Schnabel vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) untersucht. In einer Studie zu gemeinschaftlich genutzten Stromspeichern im Quartier haben sie folgende Dienstleistungen im Stadtkontext beschrieben – wobei die Steigerung des Eigenverbrauchs als primäre Anwendung vorausgesetzt wird:
Vermarktung von überschüssigem Strom bei voller Batterie durch:
- Beladen zusätzlicher Elektrofahrzeuge von privaten Nutzern oder Carsharing-Flotten im Quartier,
- Peer-to-Peer-Stromhandel über den Quartierspeicher (wobei hier die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen Handel innerhalb der Nachbarschaft noch vereinfacht werden müssten),
- Lastspitzenkappung, d. h. die benötigte Energie bei Lastspitzen kommt direkt aus dem Batteriespeicher und nicht übers Stromnetz, was wiederum Kosten durch einen erhöhten Stromtarif auf Verbraucherseite einspart und
- Direktvermarktung von überschüssigem Strom.
Gewinne generieren mit freistehenden Speicherkapazitäten durch:
- Teilnahme am Regelenergiemarkt. Voraussetzung hierfür ist eine vorherige Qualifizierung durch den zuständigen Übertragungsnetzbetreiber und eine Bündelung mehrerer Speicher über ein Quartier hinaus, um auch die geforderten Mindestkapazitäten sicherstellen zu können.
Damit Multi-Use aber auch Zweit- und Dritt-Anwendungen bleiben, muss vorher berechnet werden, wieviele Restkapazitäten nach Abzug des privaten Bedarfs noch zur Verfügung stehen. Auf Basis ihrer Untersuchungen schätzen die Autoren dabei, dass 28 % der Speicherkapazitäten im Quartier für zusätzliche Dienstleistungen genutzt werden könnten.
Quartierspeicher: eine rechtliche Herausforderung
Bei aller Euphorie angesichts dieser vielversprechenden Lösung für eine lokale und flexible Energieversorgung darf die Gesetzgebung nicht vergessen werden. „Die verdirbt einem ein Stück weit den Spaß“, so Rechtsanwältin Bettina Hennig bei den Berliner Energietagen im Webinar „Quartierspeicher für die Energiewende – Praxisbeispiele und Rahmenbedingungen“ im Mai 2020. Das Problem: Energiespeichersysteme sind im geltenden Energierecht (noch) nicht vorgesehen und unterliegen damit auch keiner klaren Regelung. Das macht die Sache kompliziert.
Rechtlich betrachtet, haben Speicheranlagen nämlich eine Doppelrolle: Solange Energie hineingeht, sind sie Verbraucher. Geht Strom hinaus – als Lieferung an Endverbraucher – sind sie Erzeuger. Mit allen regulatorischen Rechten und Pflichten. Hinzu kommen teilweise undurchsichtige Sonderregelungen, was beispielsweise die EEG-Umlage, Netzentgelte und Stromsteuern angeht. Noch komplizierter wird es bei Multi-Use-Anwendungen, wenn z. B. über den Quartierspeicher auch E-Ladesäulen mit Strom versorgt werden. Um das volle Potential von Speichern nutzen zu können, brauche man deshalb sehr komplexe Vorüberlegungen, um keine Pflichtverstöße zu riskieren sowie ein sehr sauberes Messkonzept, rät die Rechtsexpertin.
Doch die Hoffnung stirbt zuletzt: Durch regulatorische Initiative auf EU-Ebene ist zukünftig ein steigender Einsatz dieser Speicherlösungen zu erwarten.
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- Evohaus
- Fraunhofer ISE: Quartierspeicher
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- Knoefel, Jan & Frieder Schnabel: Gemeinschaftlich genutzte Stromspeicher im Quartier. In: Transforming Cities, 2/2021, S. 57 ff
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